Wenn liberale Kritiker*innen „Das ist die Sprache der Nazis!“ aufschreien, müssen sie in nicht seltenen Fällen mit der Antwort rechnen: „Na und?“ Vielen Wähler*innen macht das wirklich nichts aus. Und zwar nicht, weil sie selbst etwas für das NS-Regime übrighätten, sondern weil dieses für sie Schnee von gestern ist. Die FPÖ gewinnt nicht wegen des signalhaften Gebrauchs von NS-Vokabular. Sie gewinnt, weil sie dieses Vokabular auf eine aktuelle Lage mit neuen Zielscheiben ummünzen kann.
Die neue Verwerfung birgt eine zweifache Gefahr in sich. Erstens die Ausblendung sozialer Gegensätze: Das Gefälle zwischen Arm und Reich, Herrschenden und Subalternen, Nord und Süd oder in Gender-Verhältnissen wurde binnen einiger Monate durch eine Polarisierung überlagert. Jetzt gibt es nur mehr zwei Fronten: Schwurbler*innen oder Vernünftige. Zweitens: Argumente versagen, niemand scheint dem „Feind“ – denen, die auf der „anderen Seite“ stehen – zuhören zu wollen. Der deliberativ-demokratische Rahmen öffentlicher Diskussionen droht zu zerspringen.
Allianz kann vieles bedeuten und auf vielen Motiven fußen – etwa: Solidarität; strategisches Bündeln der eng bemessenen Kräfte; der Wunsch, sich nicht spalten zu lassen und Feststellung von Gemeinsamkeiten; aber auch: Bewusstsein vom gemeinsamen Gegner … Die Idee der minoritären Allianz wird von alledem ein wenig mitgetragen. Es gibt aber auch eine Art strukturelle Mengenlehre, die für mich das wichtigste Argument für dieses Konzept ausmacht.
Kritik wurde in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend idiotopisch: Rechtfertigung und „Inhalt“ des kritischen Diskurses fundieren auf der jeweils eigenen Gruppe von Kritiker*innen. […] Das Ziel der idiotopischen Kritik ist die Veränderung der Machtverhältnisse zugunsten des eigenen Kollektivs. Darum ist sie identitätspolitisch und identitätsstiftend ausgerichtet. Wie man zu einer solchen Kritik und Politik steht, ist gegenwärtig die demokratiepolitische Gretchenfrage. Jedenfalls kehrt mit dieser Debatte ein Problem zurück, von dem ich dachte, wir hätten es bereits ausführlich genug diskutiert: Kultur.
Die Publikation geht auf meine 1994 an der Universität Wien angenommene philosophische Dissertation zurück. Der Text war für die Druckversion überarbeitet worden und wurde nun für die Digitaledition erneut durchgesehen und geringfügig geändert. Mein besonderer Dank gilt dem Verlag facultas für die freundliche Genehmigung.
Zum Inhalt:
Die wohl wichtigste akademische und journalistische Rede seit dem 19. Jahrhundert stellt ein „Metadiskurs“ dar: Reden über Gesagtes, Schreiben über Geschriebenes, Forschen über Denker*innen … Das Hauptmerkmal dieser Rede ist ihre „sekundäre“ Existenz – gemäß einem bzw. infolge eines anderen Diskurses aufzutreten. In der Sekundärliteratur verkörpert sich die komplexe Mischung dieser Sekundärdiskurse; in ihr sind Kommentar, Kritik und Biographik miteinander vermengt. Doch, war diese immer die bevorzugte Rede der (akademischen oder öffentlichen) Gelehrten? Ausgehend von der Metapher der in mittelalterlichen Klöstern an Lesepulte angeketteten Bücher, der Libri catenati, geht diese historische und erkenntnistheoretische Untersuchung der Verkettung von Diskursen und Büchern auf die Spur.
„Rechtspopulistisch“ genannte Parteien wie FPÖ, AfD oder FN erkannten die Lage besser und schafften es, den herbeigesehnten Klassenkampf zu simulieren (den echten zu führen, stand weder in ihrem Interesse noch in ihrem Programm). Es gelang ihnen, den selbst propagierten nationalistisch-rassistischen Abwehrkampf „unseres Volkes“ gegen die „Fremden“ in Begriffe, Bilder und Symbole des Klassenkampfes zu kleiden.
Eine meiner Fragen an ChatGPT lautete, warum es heute mehr autoritäre Regierungen gebe. Typische Besserwisserfrage, aber im Bereich der Naturwissenschaften bin ich trotz mit Interesse geschauter Folgen von Science Busters noch immer ein Koffer. Darum dachte ich mir, lieber eine politische Frage stellen, deren Antwort ich zumindest überprüfen kann. Ich muss sagen, diese war durchaus intelligent, wenn auch ein wenig ideologisch gefärbt.
Meine Kolumne Stimmlage (Zeitschrift Stimme) in der Ausgabe Herbst 2022, Nr. 125, mit dem Titel „Minoritäre Allianzen damals – und heute“ ist nun auch online zu lesen: als PDF oder auf IM BLOG.
Allianzen können unterschiedliche Motive haben – etwa ein normatives Motiv wie Solidarität; ein pragmatisches wie das Bündeln der knapp bemessenen Kräfte; ein strategisches wie der Wille, sich nicht spalten zu lassen, etc. Der wichtigste Beweggrund für die minoritäre Allianz war und ist jedoch aus meiner Sicht eine strukturelle Mengenlehre.
Währenddessen avancierten die Cultural Studies, die kulturelle Entwicklungen in einem klassenbezogenen und/oder ethno-politischen Kontext analysieren, zum Königsfach der Geisteswissenschaften – als wollte Minervas Eule das Ende einer kulturellen Ära augenzwinkernd einläuten. Zeitgleich begann das Feld des Politischen von Gepflogenheiten des US-amerikanischen Demokratieverständnisses überflutet zu werden: Begriffe, Selbstverständnis, Aktionsformen, ja, sogar soziale Gruppen und Akteure der Politik werden seit gut vier Jahrzehnten zunehmend an den Vereinigten Staaten ausgerichtet. Politische „Normalität“ der europäischen Wohlfahrtsstaaten, die sich in Sozialpartnerschaft, Arbeitskampf oder Parteiorganisationen ausdrückte, wurde allmählich von Identitäts- und Anerkennungspolitik(en) überlagert, die auf der sozialen Entität von „Communities“ beruhen. Respect wurde zur Währung gerechter Umverteilung; Mikroaggression und Triggern gelten fast schlimmer als Ausbeutung.
Warum kann ein prinzipielles Nein zum Krieg nicht auch einen legitimen Standpunkt bilden? Warum wird man im besten Fall für blauäugig gehalten, wenn man auf Maßnahmen pocht, die ein baldiges Ende des Krieges bewirken sollen, statt auf weitere Waffenlieferungen und Durchhalteparolen?